Kristin Enmark war eine von vier Geiseln bei einem Banküberfall im Jahr 1973. Damals wurden drei Frauen und ein Mann von zwei Tätern über sechs Tage hinweg als Geiseln in einer Stockholmer Bankfiliale gefangen gehalten. Einem der Täter gelang es, ihr Vertrauen zu gewinnen. Er bot ihr Schutz und Trost an und schaffte es, dass sie ihm im Verlaufe der Geiselnahmen mehr vertraute als der Polizei. Sie führte während der Gefangenschaft ein Telefonat mit dem damaligen Ministerpräsidenten Olof Palme und bat ihn, auf die Forderungen der Bankräuber einzugehen, blieb damit jedoch erfolglos. Ihre Sympathie galt nach und nach immer mehr einem ihrer Kidnapper. Dieses Verhalten, sich zu einem Menschen besonders hingezogen zu fühlen oder sich sogar in den Mann zu verlieben, der einen erst in eine Notsituation oder die Abhängigkeitssituation gebracht hat, wird seit diesem Vorfall als Stockholm Syndrom bezeichnet. Dabei ist das Stockholm Syndrom nicht vordergründig auf Sympathie für den Täter zurückzuführen. Vielmehr wird das gemeinsame Ziel von Opfer und Täter deutlich: Beide wollen überleben. Die Solidarisierung, die im Stockholm Syndrom von Seiten des Opfers erfolgt, ist schon fast logisch. Der Täter behandelt das Opfer gut und nimmt ihm Angst. Anschließend erfährt das Opfer durch die Umgebung (Behörden, Medien) Unverständnis. So kommt es im Stockholm-Syndrom zu einem Schulterschluss zwischen Täter und Opfer.
Kristin Enmark wurde noch während der Geiselnahme mit Verachtung gestraft. Unter anderem von ihrer Mutter dafür, dass sie gegenüber dem Präsidenten fordernd und unhöflich aufgetreten wäre. Ihre Kritik an der Haltung und den Aktionen der Polizei, die mit Gas das Aufgeben der Kidnapper erzwang, brachte weite Teile der Bevölkerung gegen sie auf. Sie unterhielt noch einige Jahre eine Beziehung zu dem Geiselnehmer und konnte sich erst allmählich von diesem lösen. Parallel dazu litt sie unter der Meinung der Öffentlichkeit, die sie als verliebte Geisel abstempelte. Ihre Wut, die sie zunächst auf die Kidnapper projizierte, weil diese es geschafft hatten, zwischen Opfern und Tätern ein Wir-Gefühl aufzubauen, verrauchte dagegen schneller. Über 40 Jahre später hat Kristin Enmark ein Buch über die Erlebnisse und ihr persönliches Stockholm Syndrom geschrieben. Sie hat es geschafft, ihre Wut und Reue über ihre Verhaltensweisen zu verarbeiten. Ihre Angst überwand sie damals zunächst nicht. Sie gab damals ihre Arbeit in der Bank auf und arbeitete später als Psychotherapeutin. Sie vertrat die Auffassung „wenn man so etwas überlebt hat, wird man stark“.
Ein weiteres Verhaltensmuster, dass zu einer Solidarisierung des Opfers mit dem Täter führen kann, ist die Co-Abhängigkeit. Hier sind überwiegend Frauen betroffen, die Opfer von suchtkranken Männern sind. Der Mechanismus der emotionalen Zugewandtheit ähnelt dem Muster, dass zum Stockholm-Syndrom führt.
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